Digitalisierung ist einer der treibenden Faktoren bei der Transformation individueller Mobilität. Die BMW Group treibt die Digitalisierung in allen Unternehmensbereichen konsequent voran. Dabei werden Prozesse über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg kontinuierlich verbessert.
Um dabei die bestmöglichen Ergebnisse erzielen zu können, braucht es entsprechende Werkzeuge, unter anderem hochmoderne Computer. Wissenschaft und Wirtschaft entwickeln nun ein neues, ungleich leistungsfähigeres Werkzeug – den Quantencomputer.
Im Gespräch erklären Oliver Wick (rechts im Bild), Technologiescout bei der BMW Group Forschung, und Bernhard Pflugfelder (links im Bild), Spezialist für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, was hinter dem Begriff „Quantum Computing“ steckt. Schon heute arbeitet die BMW Group an der neuen Technologie, um den Fortschritt innerhalb der Mobilitätsbranche mittel- und langfristig vorantreiben zu können.
Herr Wick, Herr Pflugfelder: Was genau kann sich ein Laie unter einem Quantencomputer eigentlich vorstellen?
Wick: Unsere klassischen Computer, sei es ein Laptop oder ein Smartphone, verarbeiten Informationen in einem Binärsystem. Dort gibt es die sogenannten Bits – übrigens eine Wortkreuzung aus „binary“ und „digit“. Diese haben einen Wert, der immer entweder 0 oder 1 ist.
Bei Quantencomputern heißt die kleinste Informationseinheit Qubit – eine Kurzform für „quantum bit“. Diese Qubits können viel mehr sein als nur 0 oder 1. Beim Quantum Computing macht man sich quantenmechanische Phänomene mit Namen wie „Tunneleffekt“, „Quantenverschränkung“ und „Quanteninterferenz“ zunutze, um bestimmte Rechenoperationen zu beschleunigen. Damit ist man in der Lage, ein Qubit in einen Zustand zu versetzen, der auch Werte zwischen 0 und 1 annehmen kann – und zwar theoretisch unendlich viele zur selben Zeit. Das nennt man einen Superpositionszustand.
Pflugfelder: Mit der Quantenverschränkung ist man theoretisch in der Lage, eine bisher unvorstellbare Datenmenge abzubilden und mit hoher Geschwindigkeit zu verarbeiten. Wir haben uns in unserer Forschung beispielsweise eine Problemstellung angeschaut, bei der es theoretisch 10107 Lösungsmöglichkeiten gibt: Die Berechnung des optimalen Rundwegs für einen Roboter, der Schweißnähte an einem Fahrzeug abdichtet. Mit aktuellen Computern würde dies mehrere Jahre dauern. Mit Quantencomputern wäre eine Berechnung aller Möglichkeiten dann in nur wenigen Sekunden machbar.
Das hört sich im ersten Moment sehr vielversprechend an. Und das ist schon heute möglich?
Pflugfelder: Diese Maschinen sind hochkomplex und ihre Entwicklung befindet sich noch im Anfangsstadium. Auch die Anwendungsfälle müssen wir mit einer völlig neuen Art der Algorithmenentwicklung übersetzen, sodass sie auf einem Quantensystem lösbar werden.
Wick: Denken wir mal rund 80 Jahre zurück. Die ersten Computer erforderten anfangs raumfüllende Hardware mit horrendem Energieverbrauch. Viele Experten waren skeptisch gegenüber der damals neuen Technologie. Bis heute hat eine wahnsinnige Weiterentwicklung dieser Systeme stattgefunden und moderne Computer sind inzwischen in nahezu alle Lebensbereiche vorgedrungen und nicht mehr wegzudenken. Ein modernes Smartphone hat mehr Rechenleistung als der NASA damals für das Mondlandungsprogramm zur Verfügung stand.
Zur Sternstunde des Quantencomputers liegt also noch ein Stück Weg vor uns?
Pflugfelder: Definitiv. Zudem sind Quantencomputer nicht für jede Aufgabe sinnvoll einsetzbar. Aktuell werden sie vor allem für Problemstellungen eingesetzt, bei denen unsere klassischen Systeme an eine unüberwindbare Grenze stoßen. In der Materialforschung etwa werden Quantencomputer die Möglichkeit bieten, das Verhalten von Materialzusammensetzungen auf einer bisher nicht dagewesenen Ebene zu simulieren, beispielsweise für die Entwicklung neuartiger Batterien.
Ein weiteres Anwendungsfeld für existierende Quantensysteme sind Aufgabenstellungen im Bereich der Optimierung – wie bei unseren Lackierrobotern. Wir versuchen also, die optimale Auslegung bestimmter Systeme zu finden. Weitere Anwendungsfelder können Produktionslinien oder Verkehrsleitsysteme sein.
Ein immer stärker wachsendes Forschungsgebiet ist auch das sogenannte Quantum Machine Learning. Hier werden Quantencomputer eingesetzt, um bestimmte Prozesse im klassischen Machine Learning zu beschleunigen. Diese neuartigen Lernprozesse für künstliche Intelligenzen könnten insbesondere auch beim autonomen Fahren eingesetzt werden.
Wie haben Sie sich diesem vielschichtigen Thema angenähert?
Wick: Wir setzen uns bereits seit 2017 intensiv mit dem Quantum Computing auseinander. Wir haben uns die möglichen Auswirkungen von Quantum Computing auf die Prozesse, Produkte und Services der BMW Group angeschaut und Anwendungsfälle identifiziert. Drei davon haben wir über die BMW Startup Garage gemeinsam mit dem Startup QC Ware in einer Machbarkeitsstudie auf Quantencomputern im Frühstadium untersucht.
Ziel dieser Studie war es nicht, direkt einen wirtschaftlichen Nutzen aus den Ergebnissen zu ziehen, sondern einen besseren Eindruck der Leistungsfähigkeit der derzeitigen Technologie von Quantencomputern zu erhalten und internes Know-how für zukünftige Projekte aufzubauen.
Pflugfelder: Ein weiteres wichtiges Ziel der Machbarkeitsstudie war zudem für uns, in den verschiedenen Bereichen des Unternehmens ein Bewusstsein für die neue Technologie zu schaffen und bereichsübergreifend eine Quantum Computing Community zu etablieren. So können wir jetzt schneller neue Anwendungsfälle in verschiedenen Bereichen der BMW Group identifizieren und diese in interdisziplinären Arbeitsgruppen umsetzen.
Und wie geht es nun weiter?
Pflugfelder: In der Hardware- und Softwareentwicklung herrscht eine enorme Dynamik. Um bei aktuellen Entwicklungen immer vorne mit dabei zu sein ist es wichtig, ein gutes Netzwerk mit anderen Unternehmen, vor allem aber mit Forschungseinrichtungen aufzubauen.
Aktuell erstellen wir zudem ein umfangreiches Use-Case Portfolio und priorisieren die Anwendungsfälle anhand ihrer Umsetzbarkeit und ihres möglichen Einflusses auf unsere Unternehmensprozesse. Die relevantesten Use-Cases werden dann noch in diesem Jahr umgesetzt.
Wick: Wir setzen dabei auf „Quantum Computing as a Service“. Wir haben also keine eigenen Quantencomputer, sondern arbeiten mit Partnern zusammen, die Zugriff auf Quantencomputer haben und konzentrieren uns auf die Anwendung der Technologie.
Wie lautet Ihre Prognose: ab wann werden wir Quantencomputer im realen Einsatz sehen?
Pflugfelder: Erste Erfolge mit relevantem Einfluss auf die Prozesse und Entwicklungen innerhalb der Automobilindustrie sind laut Expertenmeinungen in etwa fünf bis zehn Jahren zu erwarten. Diese werden wir vermutlich zuerst in Bereichen wie Optimierung (zum Beispiel von Produktionslinien) aber auch in der Materialsimulation sehen.