Über drei Jahrzehnte stellte Eberhard v. Kuenheim für die BMW Group entscheidende Weichen: mit klaren Prinzipien, außerordentlicher Disziplin und strategischem Weitblick. Das Unternehmen und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdanken seinem Wirken den Aufstieg zu einem Weltkonzern. Am 2. Oktober 2023 feiert er seinen 95. Geburtstag.
Mit gerade einmal 41 Jahren wurde Eberhard v. Kuenheim am 1. Januar 1970 Vorstandsvorsitzender der BMW AG. Er war damals der jüngste Chef eines deutschen Unternehmens der Großindustrie. Die BMW AG stand nach dem wirtschaftlichen Erfolg durch die Neue Klasse und dem starken Wachstum während der 1960er Jahre vor richtungsweisenden Entscheidungen. Die Struktur des Unternehmens hatte in vielen Bereichen nicht Schritt gehalten. Vieles musste für eine gesicherte Zukunft und weiteres Wachstum neu organisiert werden.
NEUAUSRICHTUNG BRINGT STRUKTUR UND WACHSTUM.
Die Neuorganisation umfasste die Zuordnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die strategische Ausrichtung des Unternehmens und der Zentralfunktionen. In die Amtszeit v. Kuenheims fielen folgerichtig wegweisende Entscheidungen für neue Werke sowie die Etablierung des für BMW typischen Produktionssystems. Insbesondere die Eröffnung des neuen Werks in Dingolfing im Jahr 1973 war ein mutiger Schritt. Und durchaus umstritten – inmitten der ersten großen Ölpreiskrise inklusive Sonntagsfahrverbot prophezeiten damals viele dem Automobil ein baldiges Ende.
Nach Überwindung der Krise bildete das gegen alle Widerstände durchgesetzte neue Werk eine herausragende Startposition, wurde zum Motor des Wachstums und war über Jahrzehnte das größte BMW Werk. Erst kürzlich übernahm das amerikanische Werk in Spartanburg diese Position, das ebenso wie die Standorte Regensburg, Wackersdorf, Eisenach, Rosslyn sowie die Planung des Werks Landshut in der Amtszeit v. Kuenheims entschieden wurde.
„Unternehmerischer Instinkt wird uns häufig zugeschrieben, und wenn er sich auf segensreiche Weise als richtig erweist, spricht man im Nachhinein vielleicht sogar von einer Vision“, sagte Eberhard v. Kuenheim. Sein unternehmerischer Instinkt hat sich häufig als richtig erwiesen. Er traf wegweisende Entscheidungen für den heutigen Erfolg des Unternehmens – wie auch hier im Bild zu sehen: Die Einweihung des Werks in Dingolfing 1973. Es symbolisiert den Ursprung des BMW typischen Produktionssystems.
Gleichzeitig veränderte sich in dieser Zeit auch die Organisation in der Fahrzeugentwicklung, verbunden mit der Einführung moderner betriebswirtschaftlicher Methoden. Architektonisches Symbol für diese Neuorganisation bildete das 1990 eröffnete FIZ (Forschungs- und Innovations-Zentrum, vormals „Forschungs- und Ingenieurszentrum“). Hier arbeiteten erstmals alle an einem Fahrzeug-Projekt beteiligten Funktionen zusammen, ungeachtet ihrer organisatorischen Zuordnung. Das Gebäude des FIZ optimierte die Zusammenarbeit durch einen wabenförmigen Grundriss mit kurzen Wegen und folgte damit dem grundsätzlichen architektonischen Konzept der „gebauten Kommunikation“. Damit steht es auch für das Verständnis Eberhard v. Kuenheims, dass Kommunikation eine zentrale Aufgabe eines Unternehmens und seiner Führung ist.
1978 wurde die Idee des heutigen FIZ geboren. Hier im Bild: Eberhard v. Kuenheim am Modell des Gebäudes.
NEUE MODELLE UND START IN DIE OBERKLASSE.
Weitere vorausschauende und strategisch kluge Unternehmensentscheidungen fielen in die Zeit, als für die neue BMW Mittelklasse als Nachfolgemodell der Neuen Klasse Anfang der 1970er Jahre eine neue Produktbezeichnung gesucht wurde. Damals entschied sich der Vorstand unter Leitung von Eberhard v. Kuenheim erstmals für eine dreistellige Zahlen-Kombination aus Modellreihe und Hubraum. Die Mittelklasse startete damals mit dem BMW 520i, die kleine Baureihe wurde zum BMW 3er, und das geplante große Modell begann mit der Ziffer 7.
Im BMW Werk Dingolfing läuft der erste BMW 520i (E12) vom Band – der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte.
In der Vorstandsentscheidung wurde ausdrücklich festgehalten, dass damit unter dem 3er, über dem 7er und dazwischen ausreichend Platz für eine spätere Erweiterung der Modellpalette blieb. Das System erwies sich als weitsichtig und funktioniert im Grundsatz seit nunmehr 50 Jahren. Mit der Einführung des BMW 7er und insbesondere durch das Luxusmodell 750i des Jahres 1987 mit einem weltweit Aufsehen erregenden 12-Zylinder-Motor etablierte sich die Marke BMW fest im Bereich der automobilen Ober- und Luxusklasse.
INTERNATIONALER VERTRIEB UND GLOBALE PRODUKTION.
In den 1970er Jahren strukturierte die BMW AG unter Eberhard v. Kuenheim auch den Vertrieb auf den internationalen Märkten neu. Eigene Vertriebsgesellschaften in Schlüsselmärkten reduzierten die Abhängigkeit von den bis dahin üblichen Importeuren und vertieften das Verständnis im Unternehmen für die Wünsche internationaler Kunden.
Die Internationalisierung blieb nicht auf den Vertrieb beschränkt. Mit dem Werk Rosslyn in Südafrika über das Werk Spartanburg in Nordamerika begann der fortlaufende Prozess einer globalisierten Produktion gemäß dem bis heute gültigen Grundsatz: „Die Produktion folgt dem Markt“.
Danksagung an Eberhard von Kuenheim von 100 BMW Händler aus Südafrika.
Auch diese Weichenstellung v. Kuenheims wirkt bis heute nach, sie sicherte den anhaltenden Erfolg auf dem amerikanischen Markt und lieferte zu Beginn der 2000er Jahre die Vorlage für die wichtige Expansion nach China. Sie sorgt auch dafür, dass die BMW Group heute ertragsstärker und unabhängiger von globalen Konjunkturschwankungen ist als viele Wettbewerber.
Händedruck zwischen Eberhard v. Kuenheim und George Bush.
Dahinter stehen v.li.n.re.: US-Generalkonsul Andrew G. Thoms, US-Botschafter Robert M. Kimmitt, Richard Gaul, Helmut Panke, Hans Graf von der Goltz, Us.Präsident George Bush, Bernd Pischetsrieder, Karl Gerlinger, Craig Helsing.
INNOVATIVES UNTERNEHMERTUM AUCH IM DETAIL.
Neben den großen Initiativen zu Modellpolitik, Vertrieb und Internationalisierung verfolgte die BMW AG unter Eberhard v. Kuenheim häufig auch im Detail innovative und neue Wege. Immer vor dem Hintergrund, dass die BMW AG ein relativ kleiner Automobilhersteller war – mit Nachteilen bei den Stückzahlen, jedoch mit Vorteilen bei der Geschwindigkeit. Diese Schnelligkeit nutzte das Unternehmen häufig und erarbeitete sich Vorteile im Wettbewerb. So verband v. Kuenheim die Genehmigung für ein erweitertes Motorsport-Engagement Anfang der 1970er Jahre mit der Forderung nach einem Beitrag zur Finanzierung. Die Lösung bot die Gründung der BMW Motorsport GmbH 1972 mit der Einführung der BMW M Modelle mit den Genen des BMW Motorsports. Dadurch entstand eine Modellfamilie besonders sportlicher, imageträchtiger und ertragsstarker BMW M Fahrzeuge. Diese erfolgreiche Idee kopierten danach alle Wettbewerber.
„Wer das Neue will, braucht den Mut zum Experiment“, sagte v. Kuenheim. Elf Jahre nach der Gründung der BMW M Motorsport GmbH gewann Nelson Piquet mit Brabham-BMW die Formel 1-Weltmeisterschaft. Er war der erste Weltmeister, der mit einem Turbomotor gewonnen hatte.
ZUSAMMENARBEIT ZUM WOHL ALLER MITARBEITENDEN.
Unter der Führung v. Kuenheims stieg der Umsatz des Unternehmens von 1,7 Mrd. DM im Jahr 1970 auf 31 Mrd. DM – das mehr als 18-fache – im Jahr 1992. Die Zahl der Arbeitsplätze hat sich von anfangs 23.000 auf fast 74.000 in seinem letzten vollen Geschäftsjahr mehr als verdreifacht. Die Expansion geschah dabei stets in konstruktiver Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern, insbesondere dem Betriebsratsvorsitzenden Kurt Golda.
Hoher Besuch bei BMW: Eberhard v. Kuenheim, Bundesarbeitsminister Walter Arendt und Betriebsratsvorsitzender Kurt Golda. Die konstruktive Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern war schon immer ein Erfolgskriterium der BMW Group.
Gemeinsam erarbeitete man unter anderem ein innovatives Arbeitszeitmodell. Es entkoppelte die Maschinenlaufzeiten von den Arbeitszeiten und bot einen innovativen Lösungsweg, die industrielle Fertigung auch in Hochlohnländern weiter zu ermöglichen. Auch die Beteiligung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Unternehmenserfolg wurde 1973 in der BMW AG unter Eberhard v. Kuenheim eingeführt.
Dinge bewegen, neue Wege ausprobieren, dabei auf die eigenen Stärken bauen und immer mit dem Blick des Unternehmers handeln – das gehört bis heute zu den Grundsätzen v. Kuenheims. Dieses Verständnis sollte auch handlungsleitend bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme sein. Die nach seinem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat von der BMW AG gegründete Eberhard v. Kuenheim Stiftung führte dieses Verständnis fort. Seit Mai 2016 werden alle Aktivitäten der Stiftung in der BMW Foundation Herbert Quandt gebündelt.
Die Ära Eberhard v. Kuenheims hat für die BMW Group eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Viele seiner Entscheidungen und die unternehmerischen Weichenstellungen unter seiner Führung wirkten langfristig – teilweise bis heute. Insgesamt 29 Jahre gestaltete er den Weg des Unternehmens: 23 Jahre als Vorstandsvorsitzender (1970-1993) und anschließend 6 Jahre als Aufsichtsratsvorsitzender (bis 1999). „Sie waren ein großes Glück für die Bayerischen Motoren Werke“, sagte Stefan Quandt anlässlich des 90. Geburtstags v. Kuenheims vor fünf Jahren. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Eberhard von Kuenheim auf BMW R 75/5.