Intercultural Innovation Award
Nachhaltigkeit 22.11.2021 12 Min.
„Junge Menschen brauchen Neugierde“.

Konflikte entstehen durch unbewusste Vorurteile. Sie zu überwinden braucht interkulturelle Kompetenz und Respekt für das Anderssein. Wie gelingt das? Ilka Horstmeier sagt: durch einen neugierigen Blick auf Verschiedenheit.

Interkulturelle Zusammenarbeit ist zwar für viele längst Alltag, doch sie verläuft manchmal nicht ohne Spannungen und Missverständnisse. Aus der Sozialpsychologie ist bekannt: Menschen und Kulturen definieren sich noch immer über die Abgrenzung zum Fremden. Wir sollten uns dessen bewusst sein und deshalb lernen, respektvoll miteinander umzugehen und das Fremde als Bereicherung für unsere Gesellschaft und den Einzelnen zu sehen.

Wir sprachen darüber mit Ilka Horstmeier: Sie ist Mitglied des Vorstands der BMW AG und als Arbeitsdirektorin zuständig für das Personal- und Sozialwesen. Frau Horstmeier weiß, worauf es bei Veränderungen ankommt: Sie baute das bayerische Traditionswerk der BMW Group in Dingolfing zum Kompetenzzentrum für E-Antriebsproduktion um. Unter ihrer Leitung startete die BMW Group die größte Qualifizierungsoffensive in der Geschichte des Unternehmens. Allein in Deutschland wurden bei der BMW Group im Jahr 2021 rund 75.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die künftigen Anforderungen von Elektromobilität und Data Analytics vorbereitet.

Autor: Dr. Elmer Lenzen (Chefredakteur UmweltDialog)

Menschen auf der Bühne bei Intercultural Innovation Award

Die COVID-19 Schutzmaßnahmen wurden eingehalten.

Frau Horstmeier, wie kommt ein Automobilkonzern auf die Idee, sich um interkulturelles Lernen zu bemühen?

Ilka Horstmeier: Wir sind ein Unternehmen, das heute in 140 Märkten aktiv ist. 120.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 110 Nationen arbeiten bei uns. Interkulturalität und der Austausch über Ländergrenzen hinweg prägen also unser Alltag. Wie sonst würden wir weltweit ein gemeinsames Verständnis davon entwickeln, was zu tun ist und wo wir hinwollen – als Unternehmen und als Gesellschaft?

Was konkret bringt BMW dieses Miteinander?

Horstmeier: Der Austausch zwischen Ländern und Kulturen ist maßgeblich für unseren Geschäftserfolg. BMW ist – wie jedes andere globale Unternehmen – ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wir müssen es schaffen, unsere Verschiedenheit zu nutzen und Unterschiede zusammenzubringen, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Nehmen Sie unser Münchner Werk als Beispiel: Hier arbeiten Menschen aus 50 Nationen Hand in Hand an einem Produktionsband. Da muss jeder und jede einzelne mit der kulturellen Verschiedenheit des und der anderen gut umgehen können, um am Ende gemeinsam das beste Produkt herzustellen.

Arbeiten Sie, um die interkulturelle Kompetenz zu stärken, auch mit Menschen oder Organisationen außerhalb von BMW zusammen?

Horstmeier: Ja, und das intensiv und erfolgreich. Ein Beispiel: Um diese Kompetenzen gerade bei jungen Menschen zu fördern, haben wir vor zehn Jahren gemeinsam mit der United Nations Alliance of Civilizations den Intercultural Innovation Award ins Leben gerufen. Wir haben bisher 61 Organisationen in 116 Ländern unterstützt. Ungefähr fünf Millionen Menschen wurden damit bereits erreicht. Die ausgezeichneten Organisationen tragen durch Aufklärungs- und Bildungsprojekte auf der ganzen Welt dazu bei, die Polarisierung zwischen Gesellschaften und Kulturen zu überwinden. Beispielsweise klären sie Schülerinnen und Schüler über verschiedene Religionen auf, bieten Workshops zu politischer Bildung an und unterstützen Pädagoginnen und Pädagogen im Kampf gegen Extremismus bei Jugendlichen. Je mehr die Angst und die Sorge bestimmter Menschen vor der Vernetzung der Welt wächst, desto wichtiger wird dieses Engagement. Da ist dieser Preis ein wichtiger Hebel, und deshalb werden wir die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen auch fortsetzen.

Was bedeutet interkulturelle Kompetenz für Sie persönlich?

Horstmeier: Sie prägt seit vielen Jahren mein Leben. Schon als Studentin habe ich für die internationale Studierenden-Organisation AIESEC gearbeitet. Das hat mein Verständnis von Interkulturalität stark geprägt. Wir haben viel mit Studierenden aus anderen Ländern und anderen Kulturen über den Zweiten Weltkrieg diskutiert. Darüber, dass das, was dort passiert ist und vor allem, warum es passiert ist, sich niemals wiederholen darf. Dass eine Menschengruppe stigmatisiert wird, darf sich nicht wiederholen. Ich glaube, dass viele Konflikte in der Welt dadurch entstehen, dass man versucht, bestimmten Kulturen, Nationalitäten und Menschen etwas zuzuschreiben, was gar nicht da ist. Daraus entstehen unbewusste Vorurteile und Stigmatisierungen.

Was kann man konkret dagegen tun?

Horstmeier: Es ist wichtig, dass wir gerade den jungen Menschen – so wie bei mir damals im Studium – nahebringen, wie andere Kulturen ticken. Ihnen beibringen, die Welt durch eine andere Brille als immer die eigene zu sehen und den Wert von Vielfalt zu erkennen. Ich habe international sehr viel Erfahrung gesammelt, unter anderem auch in China als ich verantwortlich war für die Antriebsproduktion von BMW. Für mich war es faszinierend zu erleben, wie man unterschiedliche Stärken intelligent einbringt und einsetzt, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Ich habe unheimlich viel von meinen chinesischen Kolleginnen und Kollegen gelernt.

Welche Auswirkungen hat Corona auf das interkulturelle Miteinander? Wir sehen uns seltener am Arbeitsplatz, treffen weniger Freunde, können weniger reisen. Geht da nicht viel dauerhaft verloren?

Horstmeier: Ich bin der Überzeugung, dass das weltweite Zusammenarbeiten, egal auf welcher Ebene – ob auf staatlicher Ebene, betrieblicher Ebene oder mit Nichtregierungsorganisationen – weitergehen wird. Es braucht die Zusammenarbeit in einem globalen Kontext. Dazu ist die Welt viel zu stark vernetzt, und das kann Corona auch nicht zurückdrehen. Wir müssen uns aber damit auseinandersetzen, dass es Menschen gibt, die eher offen sind, und Menschen, die vielleicht Angst davor haben. Dafür brauchen wir weiterhin den persönlichen Austausch, gemeinsame Projekte und Erfolgserlebnisse.

Hätten Sie dafür ein Beispiel, wo in der Pandemie dieses Miteinander besonders gut geklappt hat?

Horstmeier: Nach dem ersten Lockdown im März 2020 hätten wir unsere Werke nicht wieder hochfahren können, wenn wir keine Masken gehabt hätten. Und die waren zu dieser Zeit natürlich rar. Deshalb haben wir innerhalb von sechs Wochen eine eigene Maskenproduktion aufgebaut. Und wie haben wir das gemacht? Wir haben nicht gefragt, wer der oder die hierarchisch Höchsten oder Zuständigen sind, dieses Problem zu lösen. Wir haben uns stattdessen die Kolleginnen und Kollegen geholt, die die Fachkompetenzen hatten, genau dieses Problem innerhalb von sechs Wochen zu lösen. Das hat nichts mit der New-Work-Floskel „flache Hierarchien“ zu tun, sondern damit, dass wir die Menschen nach ihrer Kompetenz einsetzen und Teams so zusammenstellen, dass wir Aufgaben – auch mit agilen Arbeitsmethoden – sehr schnell mit dem bestmöglichen Ergebnis lösen können.

Aber, flapsig formuliert, braucht man wirklich interkulturelle Kompetenz im Homeoffice? Man sitzt am Bildschirm in seinen eigenen vier Wänden…

Horstmeier: Gerade weil sich vieles in die virtuelle Welt verlagert, brauchen wir diese Kompetenzen mehr denn je. Das virtuelle Arbeiten eröffnet noch stärker die Möglichkeit der interkulturellen Zusammenarbeit. Zusammenarbeit lebt von Vertrauen. Wenn es nicht da ist, ist es in der virtuellen Welt nochmal schwieriger, gemeinsame Ziele zu erreichen. Bei BMW haben uns gerade diese robusten, persönlichen Beziehungen während der Corona-Pandemie sehr geholfen.

Wird das virtuelle Arbeiten die „neue Normalität“ sein – auch nach Corona?

Horstmeier: Wir werden künftig stärker in einer virtuellen Welt arbeiten, weil es bestimmt auch weiterhin Reiseeinschränkungen geben wird und wir auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten auf manche Geschäftsreisen verzichten werden.

Wenn künftig viel mehr online stattfindet, wird es an persönlichen Begegnungen fehlen. Wie kann man dann interkulturelle Kompetenz lernen und einüben?

Horstmeier: Es wird nicht nur mit Trainings gehen. Wir brauchen den persönlichen Kontakt, müssen vielleicht auch mal über Fallstricke stolpern und in den einen oder anderen Fettnapf treten, den jeder und jede von uns irgendwann in der interkulturellen Zusammenarbeit erlebt. Nur so lernt man, Vorurteile abzubauen und Dinge besser zu machen. BMW wird kein Unternehmen sein, in dem in Zukunft niemand mehr verreisen wird. Genauso wenig werden alle im Homeoffice verschwinden. Uns bleiben persönliche Kontakte wichtig. Letztlich knüpfen Menschen Geschäftsbeziehungen, indem sie gemeinsame Interessen sondieren und Vertrauen aufbauen. Deshalb muss man die Person kennenzulernen, mit der man ins Geschäft kommen möchte. Das können sie nicht ausschließlich virtuell machen. Aber es wird in Zukunft immer öfter hybride Formate geben, und deswegen muss die Zeit, die man dann vor Ort verbringt, noch intensiver genutzt werden, um genau dieses Beziehungsnetzwerk aufzubauen.

Wenn junge Menschen bei BMW anfangen, müssen sie viele Fähigkeiten mitbringen. Welche davon sollten sie besonders im Blick behalten?

Horstmeier: Neugierde und Wertschätzung für den anderen und der Wille, im Team zum Erfolg zu kommen. Offen auf andere zugehen und sich für Verschiedenheit interessieren. Wie tickt der oder die andere? Wie können wir gemeinsam das Beste erreichen?

Ich habe es vorhin gesagt: Wir sind in 140 Märkten aktiv. Wir brauchen verschiedene Perspektiven. Fahrzeuge sind ein hochkomplexes Produkt. So abgedroschen das klingen mag: Die einzige Konstante wird der Wandel sein. Wir brauchen Menschen, die kontinuierliche Veränderung spannend finden und Freude daran haben, Dinge zu hinterfragen und Neues auszuprobieren.

Sie arbeiten schon lange bei BMW. Da haben Sie eine Menge erlebt. Inwieweit hat unser heutiges Thema Interkulturalität den Alltag bei BMW verändert?

Horstmeier: Natürlich hat sich in den 27 Jahren, die ich bei BMW bin, eine ganze Menge verändert. Wir sind viel internationaler geworden. Wir sind enorm gewachsen – insbesondere in unserem Auslandsgeschäft. China ist mittlerweile unser zweitwichtigster Markt. Die Komplexität unserer Aufgaben und die Dynamik der Veränderungen hat massiv zugenommen. Jeden Tag passiert auf der Welt etwas, auf das wir reagieren müssen. Und dazu brauchen wir natürlich eine ganz andere Art von Zusammenarbeit.

Vieles ist über die Zeit bedeutsam geblieben, beispielsweise unser Verständnis von ökologischer und sozialer Verantwortung. Dafür gestalten wir unsere Produkte nachhaltig, sichern Beschäftigung und leisten unseren Beitrag zur Gesellschaft.

Frau Horstmeier, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.

Intercultural Innovation Award

Seit nunmehr zehn Jahren pflegt die UN Allianz der Zivilisationen eine enge Partnerschaft mit der BMW Group. Gemeinsam wurde der Intercultural Innovation Award (https://interculturalinnovation.org) ins Leben gerufen. Dieser seither regelmäßig vergebene Preis zeichnet Projekte auf der ganzen Welt aus, die sich für interkulturelle Verständigung und vielfältige, inklusive Gesellschaften einsetzen. Das Besondere ist, dass die Preisträgerinnen und Preisträger nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern vor allem Projektunterstützung in Form von Coaching, Workshops und Vernetzung erhalten. Die Verleihung des diesjährigen Intercultural Innovation Award fand am 18. November im Rahmen der Themenwoche zu Toleranz und Integration auf der EXPO2020 in Dubai statt. Der Preis richtet sich in diesem Jahr besonders an Projekte, die eine Gleichstellung der Geschlechter fördern und sich für Frauenrechte einsetzen, gegen gewaltsamen Extremismus, Hass und Vorurteile kämpfen sowie Kunst, Kultur und Sport als Wegbereiter sozialen Wandels nutzen möchten.

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